Die Angst entfesselt Höllenhunde. Lass dich nicht von ihnen jagen. Dreh dich mutig um und schau ihnen in die Augen. Du wirst staunen!

Diesen Beitrag habe ich im Juli 19 geschrieben, also vor Corona. Seit dieser Virus uns heim gesucht hat, spiel sie noch eine viel grössere Rolle in unserem Funktionieren und unserer Gesellschaft. Ich würde sogar sagen, es wird damit ‚gearbeitet‘, sie wird gebraucht, um uns als Masse ein gewisses gefügig und steuerbar zu machen. Es ist ein ganz anderer Zusammenhang, als ich unten beschrieben habe. Darum finde ich es interessant, den Text hier aufzuschalten. Vielleicht bringt er dir ja etwas in den Herausforderungen, die du zu meistern hast in deinem Leben. Corona hin oder her.

In meiner Praxis habe ich sehr oft mit Angst zu tun. Sie zeigt sich in diversen Formen. Bei mir selber, wenn jemand kommt, den/die ich gerne gut begleiten möchte, aber nicht genau weiss, wie. Meine Klientinnen bringen viele Situation oder Fragen mit, bei denen die Angst mit im Spiel ist.

Ich selber habe vor allem davor Angst, Menschen, die ich liebe, durch einen dummen Fehltritt von mir zu verlieren oder mich in einer Gruppe so ungeschickt zu verhalten, dass man mich auslacht und ausstösst. Bei mir ist zur Zeit also vor allem das Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit gefährdet – meint jedenfalls mein Alarmsystem.

Vor einigen Jahren habe ich bei Anouk Claes (Medium und Heilerin) und Jakob Bösch (Psychiater) eine Weiterbildung gemacht und viel über den Charakter der Angst gelernt, so dass ich sie in meinem Leben habe einbauen können.

Anouk unterscheidet Angst von Gefühlen. Es sei eine ganz eigene Instanz und zuständig für den Schutz des Körpers.

Sie beschreibt zwei Angstformen:

Die erste Form der Angst ist die archaische Reptilienhirnreaktion. Wenn diese Angst aktiv ist, kann sie nicht mit Worten beschwichtigt werden. Sie spricht nur die Sprache der Bilder. Sie sorgt dafür, dass unsere Grundbedürfnisse (Nahrung, Wärme, Sicherheit, Zugehörigkeit) abgedeckt sind. Dieser Hirnteil funktioniert noch wie in der Zeit, in der wir in den Höhlen hausten. Es geht ums Überleben; also kämpfen, flüchten, Sicherheit. Wenn diese Angst alarmiert ist, können die folgenden Vorstellungen eine beruhigende Wirkung haben:

Ich sitze mit einer Gruppe von meiner Sippe in einer Höhle warm umhüllt auf einem Fell. Irgendwo brennt ein Feuer, das schön warm gibt. Genügend zu essen und zu trinken sorgen dafür, dass wir nicht aus der Höhle raus müssen. Ein paar junge, kräftige Männer stehen im Höhleneingang und sorgen für Sicherheit. Eine weitere Visualisation um grösseren Stress im Körper abzubauen ist die Vorstellung davon, wie ich davonrenne oder kämpfe. Dabei ist es wichtig, dass ich mir so wahrheitsgetreu wie möglich ausmale, wie sich Muskeln und andere Körperreaktionen beim Rennen oder Kämpfen anfühlen. Irgendwann bringe ich mich in Sicherheit in der Höhle und setze mich  erleichtert auf mein Fell. Wie reagiert der Körper auf diese Vorstellung?

Die zweite Form der Angst nach Anouks Erklärung ist für die ‚moderneren‘ Gefahren zuständig. Sie passt auf uns auf, indem sie einem Vogel gleich (oder Hunden) Kreise zieht, um Gefahrenquellen auszumachen. Erkennt sie etwas, holt sie ihr Fotoalbum hervor mit allen Fotos von Gefahrenbildern aus der Vergangenheit und zeigt mir, was gerade geschieht. Diese Bilder können auch aus Filmen oder Zeitungen stammen. Sie nimmt auf ihren Streifzügen leise und kaum wahrnehmbare Zeichen wahr, ist also ein Frühwarnsystem und will darum, wenn sie etwas entdeckt hat, unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir ihr einen Moment schenken und die Fotos anschauen, können wir danach ausmachen, ob jetzt auch wirklich eine Gefahr herrscht. Wenn ja, können wir etwas dagegen tun. Wenn wir ihr klar machen können, dass jetzt nicht wirklich eine Gefahr herrscht, beruhigt sie sich wieder.

Wenn wir sie aber zu ignorieren versuchen, fährt sie eine Alarmstufe hoch, bis wir hinhören. Wenn ich mich von ihr (den Höllenhunden) jagen lasse und abhaue aus Angst davor, was ich sehen könnte, ist das kontraproduktiv. Für sie besteht dann noch mehr die Gefahr, dass ich mich nicht um meine Sicherheit kümmere. Ein dummes Missverständnis und ein Teufelskreis, der viel Kraft kosten kann. Also, wenn ich die Angst knurren höre, horche ich inzwischen gespannt. Vielleicht hat sie ja eine reale Gefahrenquellen entdeckt!

In der Weiterbildung für Traumheilung SE (Somatic Experiencing) durfte ich noch mehr und vertieftes Wissen über das Funktionieren der Angst mitnehmen. Es hat die Erklärungen von Anouk ergänzt und erweitert. Ich versuche hier das oben Erklärte noch weiter auszubauen:

Unser Hirn ist dreigeteilt: Es gibt den ältesten Teil unseres Hirns, der Hirnstamm, auch das Reptilienhirn genannt, dem das autonome Nervensystem angegliedert ist. Es liegt zu innerst im Hirn. Dort werden auch der Herzschlag, die Atmung, die Verdauung und der Hormonhaushalt reguliert. Das vegetative Nervensystem ist zuständig für die Reaktionen im Zusammenhang mit Flucht- und Kampfsituationen und wenn diese nicht möglich sind, auch für den Totstellreflex, die Erstarrung. Diese beiden Zustände, 1. Flucht/Kampf und 2. das Totstellen, führen zu Veränderungen in der Biochemie, die wiederum bestimmte Empfindungen hervorrufen. Angst gehört dazu.

Ein bisschen weniger ‚alt‘ ist das limbische System des Hirns. Es ist hauptsächlich für die gefühlsmässige Färbung der Ereignisse zuständig. Die Ereignisse lösen Empfindungen aus wie Wut, Leid, Trauer, Freude, Liebe (grob eingeteilt). Diese Empfindungen werden unterteilt in unangenehm und angenehm, entsprechend zu vermeiden oder anzustreben. Da kann Angst dazu führen, dass die Vermeidungsstrategien aktiviert werden. Wir kopieren zuerst die Vermeidungsstrategien der Eltern und später allerlei aus Geschichten, Filmen, Büchern, von Lehrpersonen oder anderen wichtigen Vorbildern.

Weiter ‚oben‘ an der Hirnoberfläche folgt dann die Zuteilung durch den Neocortex, den neusten Teil unseres Hirns. Er gibt dem allem einen Namen und sorgt mit intellektuellen Mitteln und Werten dafür, dass die schwierigen Ereignisse möglichst früh erkannt und vermieden werden können, und die Guten vermehrt und angesteuert. Es wird gewertet in gut und schlecht. Und er weiss sogar, warum das so ist. Meist sind die Glaubensstrukturen gut zementiert und fundiert. Der Neocortex hat Informationen gesammelt. Je älter wir sind, desto ‚besser‘ weiss er Bescheid! Die Eindrücke sind dann gut vernetzt mit Empfindungen, Meinungen, Gründen etc. Die Vernetzungen sind erprobt und zum Teil zementiert, Autobahnen gleich. Es sind nicht nur Fotos, sondern ganze Bildergeschichten mit Körperempfindungen, Ton, Geruch, Geschmack etc.

So kommen wir durchs Leben und können die Situationen einschätzen und uns orientieren. Das hat sehr viele Vorteile. Nur, ein paar Nachteile sind auch da. Die werden wir bald sehen.

Ein Ereignis, das als gefährlich empfunden wurde, wird in allen drei Hirnteilen festgehalten, bzw. verknüpft gespeichert. Man kann sich das vorstellen wie bei einem Baum, der Verästelungen hat. So wird später schneller wieder erkannt, wenn eine ähnliche Situation auf uns zukommt. Die Sinne dienen als Pforten, die gefährliche Umstände erkennen.

Das Reptilienhirn macht, dass sich die Sinne verändern, die Aufmerksamkeit und die Muskelspannung sich erhöhen, das Herz rast, die Atmung wird kurz und flach, die Verdauung wird verlangsamt bis eingestellt. Alle nicht lebensnotwendigen Funktionen werden zu Gunsten von Kraft für Kampf und Flucht herunter gefahren. Die Gefühle fahren Achterbahn, die Gedanken rasen.

Solange die Situationen wirklich gefährlich sind, ist die Angst davor gerechtfertigt, sogar überlebenswichtig. Wenn wir vor dem zu Fuss Überqueren einer Strasse nicht erkennen würden, dass ein Auto uns Schaden zufügen kann, sollten wir mit ihm zusammenstossen, würden wir einfach gehen… Es gibt täglich viele Situationen, wo uns die Angst vor einem Unheil oder einer Handlung bewahrt. Wir nehmen es jedoch nicht mehr als Angst wahr, weil die Gefahr so verinnerlicht ist und es darum auch nicht jedes Mal bis zu der Empfindungen von Angst kommt.

Dann gibt es aber Situationen, wo eine solche Verknüpfung zu einer Warnung führt und wir sie zur Seite schieben, weil sie nicht wirklich eine Gefahr birgt. Der Neocortex kann diese abtrennende Haltung erschaffen, das limbische System und das Reptilienhirn können das aber nicht. Die körperlichen Reaktionen sind dann da und wir finden sie nur lästig. Oder verurteilen uns dafür.

Wenn diese Situation (Gefahr) weiter besteht, wir aber weiterhin nicht beachten, was den Alarm ausgelöst hat, fügt unser System weitere Warnungen hinzu. Das Reptilienhirn feuert weiter und verstärkt seine Signale, damit die Quelle gesucht wird. Das kann dann von Schwindel, Angstschweiss, Übelkeit, Atemnot, Enge in der Brust bis hin zur Ohnmacht führen.

Der Auslöser der Angst, also die vom System erkannte Gefahrenquelle, ist je nach Geschichte des Menschen verschieden. Es gibt bestimmte Urängste, die wir alle in uns angelegt haben, die auch im Laufe der Kindheit mehr oder weniger da sind; wilde Tiere wie Spinnen und Schlangen, alles was Ekel erregt, Höhe, Dunkelheit, zu viel Hitze oder Kälte, Geister/Monster/gruslige Fantasiewesen, grosse existenzbedrohende Mächte etc.

Die Gründe, warum Angst ausgelöst wird und die Erlebnisse im Umgang damit, verknüpfen sich ebenfalls wieder und wenn die Gefahrenquelle nicht ausgemacht wurde und weiter besteht, bleibt die Angst ebenfalls bestehen. Man kann dann versuchen sie zu ignorieren, was jedoch viel Kraft braucht. Wird das zu oft und zu lange gemacht, kann es bis zu Panikattacken führen, die scheinbar keinen Auslöser haben. Faktisch hat ein kleiner Ast des Baumes erkannt, da lauert eine Gefahr und die ganze Körper-Maschinerie geht los.

Ist es einmal so weit gekommen und man möchte diese unseeligen Verknüpfungen wieder ‚loswerden’, gibt es ein bisschen Arbeit. Das Geflecht an Gefühlen, Gedanken, Erinnerungen, Bildern, Glaubensstrukturen und Vermeidungsstrategien, die miteinander verknäuelt sind, gilt es nach und nach auseinander zu nehmen. Das braucht Zeit, Mut und Verständnis für sich selber. Es lohnt sich aber sehr.

Wichtig dabei ist:

  • Die Körperreaktion heisst nicht, dass wirklich eine Gefahr besteht. Das ist zu überprüfen!
  • Die Körperreaktion (Reptilienhirn) kann mit dem Verstand (vom Neocortex aus) nicht gesteuert werden.
  • Ich kann nichts dafür, dass es so reagiert. Das Geflecht ist nicht willensgesteuert entstanden.

Wenn diese Punkte einigermassen klar sind, kann man mit dem Entflechten beginnen, was nicht immer alleine geht. Je nach Komplexität des Themas können die Schutzmechanismen die Entflechtung verhindern.

Es ist ein feiner Tanz von Sicherheit herstellen und finden (immer wieder von neuem, ohne zu sehr zu kontrollieren), Gefahr abschätzen, mutig hinsehen und -fühlen, staunen, was in mir vor geht (also beobachten) und Erkenntnisse aufkommen lassen.

Entflechten ist für mich das Zauberwort. Gefühle, Empfindungen, Glaubenssätze, Erinnerungen…….  Und dann wieder zusammensetzen lassen, einfacher und in Anbetracht der jetzigen Wahrheit.

Das geht nicht nur mit dem Neocortex. Der kommt nur bis zur Grenze des limbischen Systems. Dann geht es ums Fühlen. Und danach, noch tiefer, ums Annehmen der Körperreaktionen, die aufkommen.

Mit all diesem Wissen und nach ein paar gelungenen Entflechtungsprozessen gehen die Höllenhunde an meiner Seite und sie zeigen mir, wann wieder etwas gefährlich wird. Ich höre auf sie, fühle und schaue, was sie zu ‚sagen‘ haben. Wenn nötig mit Hilfe.

Sie sind gezähmt und mir wertvolle, wilde Begleiter geworden.